Alexandra Paperno. Sternkarten

Der Blick in die Sterne ist nicht gerade ein bevorzugtes Sujet in der bildenden Kunst des Westens. Wir meinen mit seinem Bild so vertraut zu sein, dass uns die äusserst spärliche Ikonographie der nächtlichen Himmelserscheinung stutzig macht. Die Erinnerung an eine im Bild fixierte Wahrnehmung ist geprägt von seiner technischen Reproduktion in Photographie und Film: die Photographie als wissenschaftliches Vehikel, der Film als Projektion alles dessen, was wir weltanschaulich mit der Eroberung des Universums verbinden. Und so wundert nicht, dass eines der grossen Studios in Hollywood, Universal, in seinem Logo den reziproken Blick vom Kosmos auf unseren Planeten wirft.

Wenn wir Alexandra Papernos Serie der Sternenkonstellationen betrachten, fällt die Entscheidung schwer, ob nun dem komplexen Bildaufbau mehr Aufmerksamkeit zuteil werden sollte, oder ob wir uns von Titeln wie „Centauros“ und „Pictor“ in Versuchung führen lassen sollen, jenen mythischen, philosophischen und literarischen Tiefgang, den das Thema evoziert, an die Bilder heranzutragen. Die künstlerische Technik ist komplex und elaboriert und doch wirkt der Gesamteindruck seltsam berührend und besinnlich. Kräftige Farbbarrikaden türmen sich auf und reissen in Fetzen wieder ab, starke Pinselstriche formen sich zur Masse, die unbestimmt, unverhofft verharrt. Gedeckte Farben, bleiern und erdig, schweres und tiefes Schwarz. Und über den Schlieren und Feldern ein unerklärlicher Schleier, eine neblige Unschärfe. Farbschichten decken sich und scheinen durch eine dünne Schicht von Reispapier, von dem wir in manchen Bildern bis zu sechs Lagen finden. Diese Lagen stellen die Unmittelbarkeit des gestischen Farbauftrags in Frage, nehmen ihn zurück, brechen ihn und legen sich wie eine Glasur schützend darüber. Als ob dieser so subjektive Ausdruck, in dem sich Temperament, Habitus und Atmosphäre mitteilt, zurückgenommen werden sollte. Vielleicht auch differenziert wird wie eine entschiedene Festellung: „Schau wie blau der Himmel ist !“ – und nach einer versonnenen, beschaulichen Weile: „Zum Horizont wird er türkis, – wie das Blau eines stillen Bergsees.“ Durch die papiernen Einlagen wirkt die Oberfläche der Bilder abgearbeitet, verschliessen, aufgerieben und entkräftet. Zeit lagert sich an, ein ungreifbarer, anmutiger Prozess, dem seine lange Entstehung angesehen wird. Keine künstlerische Eruption, sondern sorgfältige Kreation.

Bewusst knüpft der Gestus des grosszügig ausholenden Pinselschwungs an gegenstandslosen Proklamationen von Künstlern des Abstrakten Expressionismus wie Clyfford Still, Franz Kline oder Joan Mitchell an und wären nicht diese Titel von Paperno – „Horologium“, und „Camelopardalis“ – wir würden uns wohlweislich hüten, Repräsentationen eines von klischeehafter Romantik beladenen Sujets ins Bild hineinzulesen. Die Namen klingen exotisch, verschlüsselt und scheinen doch konkrete lateinische Bezeichnungen zu sein. Es ist wahrscheinlich, dass das griechische System der Konstellationen und deren verwandte Legenden aus dem Kulturraum des Euphrats kommen und von den Phöniziern an die Griechen weitergegeben wurden. Etwa die Hälfte der Namen der heute 88 Sternbilder geht auf Ptolemäus zurück, die Mehrzahl der übrigen Konstellationen wurden von Europäischen Astronomen im 17. und 18. Jahrhundert hinzugefügt. Die für den Kunsthistoriker nicht unbedeutenden Namen Sculptor (Bildhauer) und Pictor (Maler) gehen etwa auf den französischen Astronom Abbé Nicholas Louis de Lacaille zurück. Der Abbé benannte 15 von den international akzeptierten Sternbildern, die er während seines Aufenthaltes am Kap der guten Hoffnung festlegte. Das Sternbild Pictor war ursprünglich Equuleus Pictoris, die Staffelei des Malers, genannt worden. Equuleus heisst kleines Pferd und bezeichnet den hölzernen Stand der Staffelei, die zu Lacailles Zeit üblich war. Der Name wurde später zu Pictor verkürzt.1

Trotz die historisch beladenen Themas oder gerade mittels der Referenz zu ihm füht Paperno den Betrachter in eine unerlöste Spannung verwirrender Suggestion, indem sie die malerisch abstrahierende Technik für ein gewaltiges Sujet aufwendet. Die an der Moderne geschulten Sehgewohnheiten werden bewusst unterlaufen, der feste Grund kunsthistorischer Begrifflichkeit wie Abstraktion, Figuration und Repräsentation wird aufgeweicht, und wir bewegen uns auf dem seichten Boden von leichten Widersprüchen, die visuell mittels der künstlerischen Technik bestätigt werden.

Beschaulichkeit bei der Betrachtung der Konstellationen bleibt nicht aus, aber Papernos Gesamtkonzept der Serie mit den Tafeln von einzelnen Sternen, den Sternkarten und Sternbildern und nicht zuletzt dem Stilleben mit Globus wirft Einsichten auf, die sich vom Gelächter der thrakischen Magd angesichts des Brunnenfalls von Thales von Milet als Verächtlichkeit gegenüber der Astronomie bis zur verwunderten Erkenntnis unserer Tage erstreckt, dass wir Menschen in einem fernen Winkel des schier unermesslichen Universums auf unserem Planeten unheimlich allein dahindümpeln.2

Obwohl die Begründung der europäischen Philosophie nicht zuletzt bei der systematischen Beobachtung der Geschehnisse am nächtlichen Himmel ansetzt und infolgedessen den Götter fortlaufend Kompetenzen abspricht, schien den Malern des Abendlandes die Hemisphäre kaum darstellenswert. Konstellationen waren als Sujet noch nicht einmal im Zusammenhang mythischer Erzählungen im Hintergrund wert auf die Leinwand gebracht zu werden. Umso interessanter sind deshalb jene Beispiele, in denen der Sternenhimmel Eingang ins Bild findet.

Der preussische Hofarchitekt und Maler Karl Friedrich Schinkel entwarf 1816 das Bühnenbild für Mozarts Zauberflöte, die im Königlichen Opernhaus in Berlin anlässlich der Hunderjahrfeier eines Krönungs- und Friedensfestes aufgeführt wurde. Für die Szene im Palast der Königin der Nacht wölbt sich ein leuchtender, dunkelblauer Himmel über der auf einer Mondsichel stehenden Herrscherin. Gurtförmig ziehen sich in Reih und Glied angeordnete Sternenbahnen über die vom Mondschein beschienenen Wolken und rufen den Eindruck einer Kuppel hervor, die wiederum eine Reminiszenz an das Pantheon darstellt. Zugegeben, der Entwurf für ein Bühnenbild ist nicht einem Tafelbild zu vergleichen, aber Schinkels Bild wurde so erfolgreich, dass es als bildkünstlerisches Allgemeingut gelten darf. Eine romantische Wehmut im Motiv der Nacht ist unverkennbar, dennoch bleibt die klassische Geisteshaltung in der architektonischen Strenge erhalten. Der Raum im Himmelszelt ist begrenzt, die Sterne wurden streng geordnet. Landschaft und Architektur fügen sich ineinander. Über den fraktalen Wolkenformationen schliesst sich das klar geordnete und strukturierte, tiefblaue Himmelsgewölbe.

Zwei völlig unterschiedliche Auffassungen wurden in ein Bild integriert, was nicht zuletzt zu seiner bis heute anhaltenden Beliebtheit beiträgt und den Novelisten E.T.A. Hoffmnn damals zum überschwenglichen Kommentar hinriss, dass die Szene „in der Idee … die erhabendste und genialste“ sei.3. Symbolträchtige Zeichen für die Nacht wie Stern und Mondsichel wurden streng symmetrisch behandelt und in die Form der Kuppel des Pantheons gefasst, die einen strikt logischen Gebrauch klassischer architekuraler Elemente wiedergibt und als Panthéon in der Hochzeit der Aufklärung in Paris nach dem römischen Vorbild ab 1757 gebaut wurde. Was hier im gemalten Bild in eine eigenwillig spannungsreiche Symbol- und Formensprache gebracht wurde, spiegelte sich damals im Diskurs zur Ansicht des Kosmos

Bis in die Neuzeit hinein glaubte sich der Himmelsbetrachter in unmittelbaren Bezug zur Totalität des Universums setzen zu können, wie es in der Antike und dem Mittelalter fraglos möglich war. Der kopernikanische Bruch vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild leitete eine Weltoptik ein, die nicht nur die menschliche Perspektive veränderte, sondern in ihrer absoluten Konsequenz auf die Einschränkung der Erfahrung hinauslief. Alle Erfahrung sollte nun vor dem Hintergrund der Unerreichbarkeit stattfinden. Der Bruch zwischen der objektiven wissenschaftlichen Ansammlung von Erkenntnis und dem subjektiven Bedürfnis nach Anschauung und Totalität wurde immer bedrückender. Kant versuchte, diese Spannung zwischen Theorie und subjektivem Bedürfnis nach Anschauung zu rechtfertigen. Seine Auffassung der Idee des Erhabenen darf in diesen Zusammenhang gesehen werden. Im nachkopernikanischen Universum findet der rationale Mensch sein Verhältnis zur Natur nicht bestätigt. Dieser Mangel schlägt bei Kant um in eine ästhetische Qualität, insofern als erhaben nur gelten darf, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt.4

Das Universum nötigt dem Betrachter seine Zustimmung ab, obwohl es sich gegen sein absurdes Bedürfnis wendet, Mittelpunkt und zentrales Bezugsobjekt des Kosmos zu sein. Wenn man also den Anblick des bestirnten Himmels erhaben nennt, so muss man der Beurtheilung desselben nicht Begriffe von Welten, von vernünftigen Wesen bewohnt, und nun die hellen Punkte, womit wir den Raum über uns erfüllt sehen, als ihre Sonnen in sehr zweckmässig für sie gestellten Kreisen bewegt, zum Grunde legen, sondern bloss, wie man sieht, als ein weites Gewölbe, was alles befasst; und bloss unter dieser Vorstellung müssen wir die Erhabenheit setzen, die ein reines ästhetisches Urtheil diesem Gegenstande beilegt. Die kopernikanische Revolution zwingt uns die Konsequenz auf, dass der contemplator coeli, wenn er dies weiterhin bleiben will, Kopernikus genauso wie neuste Theorien über mögliche Paralleluniversen (welche eine Variante der sogenannten string theory aufwirft) verdrängen muss. Anschaulicher fasst Kant sein Beispiel, indem er dem Betrachter des Ozeans empfiehlt, diesen nicht als ein Medium des Weltverkehrs anzusehen. Es seien, meint der Philosoph, die Dichter, die den Himmel bloss nach dem, was der Augenschein zeigt, betrachten.

Kant stand als Kind seiner Zeit selbstverständlich noch ganz in der ästhetischen Tradition der mimetischen Abbildlichkeit und hätte sich wohl kaum träumen lassen, dass seine ästhetische Theorie des Sublimen wenig mehr als hundertfünfzig Jahre für die Begründung gegenstandsloser Malerei durch Barnett Newman, den eloquentesten und feinsinnigsten Vordenker der Abstrakten Expressionisten herangezogen würde. Doch selbst die Dichter sollten sich nicht lange an dem reinen Anblick ergötzen, sondern wurden ihrerseits von den wissenschaftlichen Erkenntnissen in Mitleidenschaft gezogen. Der nächtliche Himmel über Hamburg reisst Heinrich Heine zu wahren Elogen hin: … bis der Himmel dunkelte, und die goldenen Sterne hervortraten, verlangend, verheissend, wunderbar zärtlich, verklärt. Die Sterne ! Sind es die goldenen Blumen am bräutlichen Busen des Himmels ? Sind es die verliebten Engelsaugen, die sich sehnsüchtig spiegeln in den blauen Gewässern der Erde und mit den Schwänen buhlen ?5 Kaum zwölf Jahre später wird derselbe Anblick nüchterner, ja geradezu pessimistisch ausfallen, so dass wir uns wundern mögen, wie sehr sich in der Zwischenzeit die Welt um Heine verändert haben mag und mit ihr die Bedeutung des Himmels. Was veranlasste den Dichter, abgesehen von seiner eigenen vordergründigen Erklärung des Älterwerdens, bitter enttäuscht seine ehemalige Hymne in ein Klagelied umzustimmen: dieselben Sterne, die einst in schönen Sommernächten, so liebeheiss mit den Schwänen gebuhlt, jetzt aber so winterkalt, so frostig klar und fast verhöhnend auf sie herabblickten – wohl begriff ich jetzt, dass die Sterne keine mitfühlende Wesen sind, sondern nur glänzende Täuschungen der Nacht, goldene Lügen im dunkelblauen Nichts —6. Der tieferliegende Grund für diesen Gesinnungswechsel darf im Zusammenhang mit einer Begegnung mit Hegel gesehen werden, die, wie Hans Blumenberg überzeugend darlegt7, zu einem Schlüsselerlebnis im Werdegang von Heine wurde. Er berichtet über ein aufschlussreiches Gespräch mit dem Philosophen. Eines Abends habe er am Fenster neben Hegel gestanden, sei in Schwärmerei über die Sterne ausgebrochen und hätte sie den Aufenthalt der Seligen genannt. Der Meister aber brümmelte vor sich hin: „Die Sterne, hm ! hm ! die Sterne sind nur ein leuchtender Aussatz am Himmel.“8 In Hegels abwertendem Kommentar zur haltlosen Begeisterung zeichnet sich bereits Nietzsches Kritik am Anthropomorphismus ab. Letztlich bezieht der Mensch die Erscheinungen auf sich selbst. Die Vorstellung und Ansprüche des Menschen spiegeln sich in seiner theoretischen und ästhetischen Stellung zum Himmel. Wenn er zum nächtlichen Himmel blickt und sich an seiner Ungeheuerlichkeit entzückt, seine Dimensionen bewundert, zeigt er sich zunächst einmal ergriffen von sich selbst: Alle Gesetzmässigkeit, die uns im Sternenlauf und im chemischen Process so imponirt, fällt im Grunde mit jenen Eigenschaften zusammen, die wir selbst an die Dinge heranbringen, so dass wir damit uns selber imponiren. […] Der einzelne Mensch betrachtet sogar das Sternensystem als ihm dienend oder mit ihm im Zusammenhang.9

Vincent van Gogh verbrachte das Jahr 1889 fast ausschliesslich in der Anstalt in Saint-Rémy-de-Provence zu, in die er sich selbst eingewiesen hatte, weil er sich aufgrund seiner angeschlagenen psychischen Gesundheit unter ärztliche Aufsicht stellen wollte. Im Juni malte er eines seiner berühmtesten Bilder, Sternennacht, das heute im Museum of Modern Art in New York hängt. Bereits ein Jahr davor in Arles liess er über der Rhone die Sterne prangen10: Am Ufer des Flusses spiegelt sich das Licht der Laternen im Wasser, die Reflexe leuchten rotgolden und gehen ins Bronzegrüne, wie der Künstler an seinen Bruder Theo schreibt. Im selben Brief erwähnt er das Gewölbe über dem Himmel, der Grosse Bär flimmert grün und rosa, ein blasses und diskretes Schimmern im Kontrast zu dem brutalen Gold des Gaslichts11. Bei kaum einem anderen Künstler wird Leben und Werk in einem so emotionalen Einklang sehen wie bei van Gogh. In der Sternenacht im schicksalreichen Jahr 1889 schafft das flammende, vibrierende Licht der Sterne, rollende Farbwellen am Himmel, die lodernende Form der Zypresse im Vordergrund starke, emphatische Konturen und erhöhen die Effekte der gleissenden Farben. Van Gogh dynamisiert die elementaren Formen in gebrochenen Pinselspuren, der Himmel wird zum bewegten, reissenden Fluss. Eine individuelle Vision bricht sich spontan und instinktiv Bahn und wird umso ergreifender, als es mit dem persönlichen Schicksal des Künstlers einherzugehen scheint. Verfolgt von wiederkehrenden Attacken und wechselnden Anfällen zwischen Verzweiflung und gelassener Ruhe kämpft er in Saint-Rémy auch gegen die eingeschränkten Möglichkeiten zu malen. Mit Emphase macht er seinem Bruder klar, dass ihm etwas Neues vorschwebt: Das ist keine Rückkehr zur Romantik und hat nichts mit religiösen Ideen zu tun, nein.12 Es sollte nicht vergessen werden, dass van Goghs glühende Sterne am Anfang der Industrialisierung über Städten stehen, in denen die Anschauung ihren Gegenstand zu verlieren droht. Die Lichterflut der Städte, jene Gaslichter am Ufer der Rhone, rauben die Erscheinung und verblassen den Sternenhimmel. Die Überfülle des Wissens vom Kosmos stellt sich gegen den Einblick in die Zusammenhänge, das wissenschaftliche Material hilft nicht im geringsten die Anschauung zu einer grösseren Tiefe zu verhelfen, ganz zu schweigen davon, dass es keine Anschauung gibt, die nichts von Wissenschaft weiss. Van Goghs ästhetisches Fundament ob die Wirklichkeit so ist oder nicht, lassen wir mal beiseite, spricht Bände. In der Tat ist es gleichgültig geworden, welche Realität und ob überhaupt eine den Lichtpünktchen entspricht, die sich in exakt darstellbarer Weise am Himmel bewegen und deren Licht nach Intensität und Farbe zu messen und aufzuschlüsseln den einzigen Inhalt einer möglichen Theorie ausmacht. Max Planck fragt schliesslich: Was ist z.B. das Wirkliche an einem Stern, den wir am Nachthimmel leuchten sehen? Ist es die glühende Materie, aus der der Stern besteht, oder ist es die Lichtempfindung, die wir von ihm in unserem Auge haben ? Der Realist behauptet das erstere, der Positivist das letztere. Eine jede der beiden Behauptungen hat etwas für sich und lässt sich mit einleuchtenden Gründen vertreten. Und doch darf keine den Anspruch vertreten, allein berechtigt zu sein. Wann man aber beide Behauptungen als zulässig betrachtet, so hat das Wort „wirklich“ gar keinen bestimmten Sinn mehr.13

Anfang der achtziger Jahre malte der in Los Angeles arbeitende Künstler Edward Ruscha mehrmals mit nüchterner Prägnanz das Sternenbild Big Dipper. Ruscha ist für Bilder bekannt, in denen vor allem Wörter und prägnante Sätze als Sujet dienen. Insbesondere das vertrautesten und am leichtesten zu entschlüsselnde Sternzeichen wird als weiteres kulturelles Merkmal und indexikalisches Zeichen menschlicher Wahrnehmungsmöglichkeit gesehen. Scheinbar lapidar zeigt es sich auf der Leinwand, und reiht sich in eine Folge von Sujets des Malers ein, die mögliche Register von semiotischen Spielarten und visuellen Metaphern zieht. Die spezielle Anordnung, die wir aus dem Chaos der Pünktchen am Himmel innerhalb des Grossen Bärs als Grossen Wagen identifizieren, besteht aus den kleinstmöglichen Gemeinsamkeiten mit einem Gegenstand der mit viel Imagination hineingelesen werden kann. Die Identifikation eines Sternenbildes dürfte wohl eine der ersten visuellen Abstraktionen der Menschheit sein. Wir Menschen sahen den Himmel als Folie längst bevor wir auf die Idee kamen, unsere Umwelt auf eine Höhlenwand zu bannen oder uns mit graphischen Zeichen zu verständigen. Bei aller tiefsinnigen Faszination vom Kosmos machen Ruschas distanziertes, fast unbeteiligtes malerisches Faktum und Papernos leicht ironische Darstellung, die unseren Planeten zum Globus reduziert, vor allem deutlich, dass ein kleiner Trost bei der ernüchternden Erkenntnis über die unergründliche Tiefe des Universums bleibt: Die kosmische Oase, auf der der Mensch lebt, dieses Wunder von Ausnahme, der blaue Eigenplanet inmitten der enttäuschenden Himmelswüste, ist nicht mehr „auch ein Stern“, sondern der einzige, der diesen Namen zu verdienen scheint.14

Petrus Schaesberg

1 Dem Interessierten stehen im Internet leicht zugänglich die Geschichte der übrigen Bezeichnungen zur Verfügung. Neben den drei Sternbildern, die den Künsten gewidment sind Caelum, Pictor und Sculptor, benannte Lacaille seine Neuentdeckungen mit nach neuen wissenschaftlichen Erfindungen wie Circinus, der Kompass oder Horologium, die Uhr.

3 Karl Friedrich Schinkel, Architektur, Malerei, Kunstgewerbe, Ausstellungskatalog, Berlin: Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Schloss Charlottenburg, 1981, S. 274.

4 The sublime is what pleases immediately by reason of its opposition to the interest of sense. Kritik der Urteilskraft § 29, 1790. Allgemeine Anmerkung zur Exposition der ästhetischen reflectierenden Urtheile. [General Remark upon the Exposition of Aesthetic Reflective Judgements.]. Zweites Zitat: So, if we call the sight of the starry heaven sublime, we must not found our estimate of it upon any concepts of worlds inhabited by rational beings, withthe bright spots, which we see filling the space above us, as their suns moving in orbits prescribed for them with the wisest regard to ends. But we must take it, just as it strikes the eye, as a broad and all-embracing canopy: and it is merely under such a representation that we may posit the sublimity which the pure aesthetic judgement attributes to this object. Translation by James Creed Meredith

5 Heinrich Heine, Memoiren des Herren von Schnabelewopski, in: Heines Werke in fünf Bänden, hrsg. von Helmut Holtzhauer, Berlin und Weimar: Aufbau Verlag, 1968, S. 292.

6 Idem, S. 295.

7 Vgl. Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt, Frankfurt: Suhrkamp Verlag, 1981, S. 85.

8 Heinrich Heine, Geständnisse, in: idem, S. 345.

9 Friedrich Nietzsche: Vorarbeiten zu einer Schrift über den Philosophen (Musarion Ausgabe VI 87).

10 Starry Night over the Rhone, 1888. Musée d´Orsay, Paris

11 Vincent van Gogh, Brief Nr. 527 in: van Gogh Briefe hrsg. von Johanna Gesina van Gogh-Bongers, Frankfurt: Suhrkamp Verlag, S. 342. Englische Übersetzung siehe. Das erste Bild mit Sternen von van Gogh ist das nicht minder berühmte The Cafe Terrace on the Place du Forum, Arles, at Night, 1888. Kröller-Müller Museum, Otterlo.

12 Idem, S. 512.

13 Max Planck, Wege zur physikalischen Erkenntnis II, Leipzig 1943, S. 107.

14 Vgl. Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt, Frankfurt: Suhrkamp Verlag, 1981, S. 794.